Begründung

Von Edgar von Wahl, Reval

aus: Occidental – die Weltsprache, Stuttgart (Franckh’sche Verlagshandlung) 1930.

Da Okzidental in manchen Beziehungen gewisse Einzelfragen anders löst, als die meisten anderen Weltsprachsysteme, so möchte ich im folgenden meinen Sonderstandpunkt begründen, um verschiedenen Fragen und Kritiken im Voraus zu begegnen.

  1. Alphabet und Aussprache
  2. Mouillierte Laute
  3. Betonung
  4. Objektkasus der Pronomina

Alphabet und Aussprache

Die Aussprache der Buchstaben des Alphabetes ist den meisten Sprachen gemeinsam und wird in allen Weltsprachprojekten gleichmäßig gehandhabt. Es gibt aber einige Buchstaben darunter, die dem Weltsprachler, der meist von einem Schema ausgeht, Kopfschmerzen bereiten. Vor allem der Buchstabe c; er findet sich in sehr vielen Wörtern und ist in Mittel- und Westeuropa und ganz Amerika in zwei Aussprachen bekannt, als Zischlaut vor e, i, y, als „k“ in allen anderen Fällen. Nur bei einigen slavischen Völkern (Polen, Tschechen) hat c immer die Aussprache „ts“.

Die meisten, auf schematische Prinzipien eingestellten „Erfinder“, denen diese „Unregelmäßigkeit“ so ungeheuerlich und schwer vorkam, konnten in ihren Systemen diese Eigenart des c nicht beibehalten und dekretierten daher eine neue Aussprache. Schleyer gab dem Buchstaben im Volapük den Laut dsch, Zamenhof im Esperanto stets den slavischen Laut ts (also caro gesprochen „tsaro“), Peano in Latino sine Flexione und Touflet in Novam geben ihm den Laut „k“, so daß man also in Latino sine Flexione concert wie konkert, concentration wie konkentration sprechen muß, im Novam ce wie „ke“. Jespersen endlich geht am radikalsten vor, indem er aus seinem Novial den Buchstaben c einfach ganz hinauswirft und durch s und k ersetzt. Die Unnatürlichkeit dieser verschiedenen Vorgangsweisen beruht nicht zum wenigsten gerade auf rein scholastischer Prinzipienreiterei, denn es gibt wohl keinen einzigen lesekundigen Europäer, mit Ausnahme vielleicht einiger Polen und Tschechen, dem es einfallen würde, c vor e, i, y, wie ein „k“ oder in den anderen Fällen wie einen Zischlaut zu sprechen. Die ganze Schwierigkeit ist also eine reine Einbildung. Denn so lange die Mehrzahl der Nationalsprachen diesen Buchstaben mit der doppelten Aussprache besitzt, müssen wir ihn als bereits bekannt voraussetzen. Schon des bekannten Schriftbildes wie des etymologischen Zusammenhanges wegen werden wir hier dem Beispiel der lebenden Sprachen folgen und catolic-ism usw. schreiben. Nun ist aber der Zischlaut in den verschiedenen Sprachen verschieden. Der ganze Westen spricht den Buchstaben wie „ß“, der Italiener wie „tsch“, der Deutsche und der Slave wie „ts“. Da die Festlegung derselben Aussprache für zwei verschiedene Buchstaben s und c nicht wünschenswert ist, so müssen beide Buchstaben irgendwie unterschieden werden. Das Einfachste und Natürlichste ist, ihm die deutsch-slavische Aussprache „ts“ zu geben, obzwar sie manchmal etwas schwierig sein kann, z. B. im Wort scientie. Ich hatte anfangs gedacht, es wäre möglich, dem c den Laut des Bühnenspanisch, ähnlich dem englischen th zu geben, indem man einfach sagt: c wird gesprochen, indem die Zungenspitze zwischen die Zähne gesteckt und dann „s“ hervorgebracht wird. Aber längere praktische Versuche ließen es unwahrscheinlich erscheinen, diese Aussprache durchzuführen, da sie dem Gesetze vom geringsten Widerstand widerspricht. So bleibt uns nicht übrig, als dem c den deutsch-slavischen Laut „ts“ zu geben, und es im übrigen freizustellen, in den Fällen, wo diese Aussprache Schwierigkeiten macht, ß zu sprechen, wie es sich auch im amerikanischen Spanisch durchgesetzt hat. Mit Ausnahme weniger Wörter, wie cent = sent, cession = session, wird ein Mißverständnis dabei ebensowenig entstehen, wie dadurch, daß in den verschiedenen Gegenden Deutschlands das Wort Stock teils wie „schtock“, teils wie „ßtock“ gesprochen wird.

Eine vollkommen identische Aussprache der internationalen Sprache wir wohl niemals erreicht werden, wenngleich man bei steigendem Verkehr bereits heute durch Rundfunk und Schallplatte die Mittel besitzt, eine richtige Aussprache zu ermöglichen und zu erhalten. Wir haben durch die praktischen Erfahrungen der Esperanto-Kongresse jedenfalls feststellen können, daß die kleinen Verschiedenheiten in der Aussprache je nach der Nation des Sprechenden das Verständnis durchaus nicht stören, wenn auch ein feines Ohr heraushören kann, ob etwa ein Engländer, ein Sachse oder ein Bulgare spricht.

Ähnlich wie mit dem c ist es mit dem g, wenn die Sache hier auch nicht so allgemein ist. Die romanischen Sprachen haben alle eine doppelte Aussprache dieses Buchstabens in derselben Art wie bei c. Unter den germanischen Sprachen ist diese im Englischen sehr häufig, im Skandinavischen finden wir etwas Ähnliches, indem g vor e, i, y, wie deutsches „j“, also erweicht gesprochen wird. Im Slavischen geht das ursprüngliche g und k des Stammes vor weichen Vokalen in einen weichen Zischlaut über, wird aber allerdings dann phonetisch geschrieben, z. B. bog – bože, wie man ja auch vojak – vojaci schreibt (k…c).

Im Deutschen und noch mehr im Holländischen und Skaninavischen ist aber die weiche Zischlautaussprache aus einer großen Anzahl Fremdwörter bekannt, die auch der einfachste Arbeiter kennt. Ich nenne nur einige, wie Giraffe, Blamage, Courage, Equipage, Loge, Page usw.

Wir können also sagen, daß die Erweichung der Konsonanten c und g vor e, i, y, eine allen europäischen Sprachen gemeinsame Erscheinung und jedenfalls auch jedem, der zu lesen und schreiben versteht, eine bekannte Tatsache ist. Diese doppelte Aussprache als Schreckgespenst und besondere Schwierigkeit hinzustellen, ist somit durchaus verfehlt.

Es handelt sich nun darum, festzustellen, welchen Zischlaut man dem g am besten beilegt. Da dieser Laut im Deutschen, Holländischen und Skandinavischen hauptsächlich aus den in diesen Sprachen vorkommenden Fremdwörtern bekannt ist, so ist es natürlich am einfachsten und passendsten, die für diese Fälle bekannteste französische Aussprache eines stimmhaften „sch“ wie in „Courage“ zu nehmen.

Dann wird für das j der aus so vielen englischen Wörtern bekannte Laut „dsch“ am besten zu nehmen sein. Man vergleiche Jack, John, Jersey, Jingo, Jumper.

Dem y als Konsonant den Laut des deutschen „j“, im Deutschen bekannt aus Yard, Yankee, New York, zu geben, ist wohl selbstverständlich. Außerdem haben wir aber das y als Vokal in sehr vielen aus dem Griechischen stammenden Wörtern, wie Psyche, Hydrant, Pyramide, zynisch, hydraulisch, Hyäne, Hyazinthe, Hygiene, Hymne, hypnotisieren, Hypothek, hysterisch usw. die großen europäischen Sprachen mit Ausnahme des Italienischen und Spanischen behalten im Schriftbilde das y bei. Die Aussprache schwankt zwischen „i“ und „ü“. Im Deutschen, Skandinavischen und Finnischen hat y den Laut des deutschen „ü“, in den übrigen Sprachen meist „i“. Hier wären nun drei Möglichkeiten: 1. wir geben dem y (als Vokal) den deutschen ursprünglich griechischen Laut „ü“; 2. wir geben ihm den Laut „i“; 3. wir ersetzen y überall durch i.

Da die internationale Sprache hauptsächlich schriftlich benützt wird, eine Beibehaltung des internationalen Schriftbildes also durchaus notwendig ist, u. zw. besonders in der Wissenschaft (Hypodrom und Hippodrom, chlorophyll und Chlorophil), so kommt dieser dritte Fall nicht in Betracht. Man sehe sich als abschreckendes Beispiel die entsprechenden Wörter im Esperanto, Ido, Novial usw. an!

Geben wir nun dem y den Laut „i“, so haben wir eine nicht eindeutige Orthographie. Das ist nicht wünschenswert, da eine präzise Regel immer besser ist.

So bliebe der Fall 1.; nun ergibt sich hier aber die Schwierigkeit, daß der Laut „ü“ vielen Völkern Schwierigkeiten in der Aussprache macht, daher sprechen diese Völker den Buchstaben y wie „i“. Sie werden ihn also aus Gewohnheit auch wohl weiter häufig als „i“ sprechen. Aber das ist schließlich kein Unglück. Die Aussprache des i und ü sind einander recht ähnlich und selbst im Deutschen sprechen viele das ü beinahe wie i aus. Die Wörter selber sind außerdem so charakteristisch, daß eine Verwechslung beim Sprechen ziemlich ausgeschlossen sein dürfte, besonders da es sich ja meistens um wissenschaftliche und technische Ausdrücke handelt.

Wenn wir also der Regelmäßigkeit und Ordnung halber dem y als Vokal den Laut „ü“ zuteilen, so wird das praktisch keine Schwierigkeiten hervorrufen, da die Aussprache eines dumpfen „i“ ja gestattet ist. Welche Entwicklung dann die Sprache nimmt, ob die ü-Aussprache durchdringt und allmählich auch von den anderen Völkern im praktischen Gebrauch gelernt wird, oder ob das i herrschend wird und schließlich eine orthographische Reform verlangen wird, dies können wir getrost der Zukunft überlassen. Jetzt handelt es sich vor allem darum, möglichst große Verständlichkeit auch denjenigen zu bieten, die die Sprache noch nicht gelernt haben, um sie möglichst leicht einführen zu können. Das mündliche Verständnis wird, wie gesagt, durch die kleine Variationsmöglichkeit in der Aussprache in keiner Weise gestört werden; das haben die bisherigen praktischen Erfahrungen des Okzidental gelehrt.

Im Falle y, wie auch in manchen anderen Fällen sollten wir uns bei der Gerichtssitzung über diese eigenwilligen Buchstaben die alte juristische Maxime zur Richtschnur machen „in dubiis pro reo“ (in zweifelhaften Fällen zugunsten des Angeklagten) und nicht gleich mit dem Todesurteil zur Hand sein.

So steht es auch mit z, welches entweder wie stimmhaftes „s“ (im Englischen, Französischen, Portugiesischen, Holländischen, Polnischen), wie „ß“ (im Spanischen und Skandinavischen), wie „ts“ (im Deutschen, Italienischen), oder wie „ds“ (im Italienischen) ausgesprochen wird, letzteres besonders in aus dem Griechischen ererbten Wörtern. Da nun der Buchstabe z in der internationalen Sprache eigentlich nur in Wörtern griechischen oder italienischen Ursprungs vorkommt, so ist es am natürlichsten, ihm auch diese entsprechende, mittlere Aussprache zu geben, also „ds“, und falls es doppelt geschrieben wird, zz gleich „ts“. Im Okzidental hat dieser Buchstabe nicht ein Fünfzigstel der Häufigkeit wie im Esperanto, wo er sehr häufig das internationale s ersetzt. Ihn ganz auszumerzen, wie Jespersen das tat, hat keinen Sinn, denn er ist dem Europäer bekannt, „Zink“ wie Jespersen sink zu schreiben, ist sonderbar, denn das allgemein bekannte wissenschaftliche Zeichen für dieses Metall ist Zn, und das Wort ist wohl am häufigsten in Wissenschaft und Technik gebraucht und nicht im täglichen Verkehrsleben.

Dem s geben wir am besten den scharfen Ton, und, wie in vielen europäischen Sprachen, zwischen zwei Vokalen den stimmhaften Laut wie in Rose. Deutsche sollen beachten, den Buchstaben am Anfang des Wortes nicht stimmhaft wie im Deutschen zu sprechen, sondern scharf, wie in allen übrigen Sprachen, also social = „ßozial“, sanct = „ßankt“.

Nun haben wir noch die Digramme zu betrachten, vor allem ch und sh, die in sehr vielen Wörtern französischer, spanischer und englischer Herkunft vorhanden sind. Wir haben auch im Deutschen Charlotte, Chauffeur, Champion, Chef, Chinchilla, Chile, chokieren, Shakespeare, Sheriff usw.

Die Aussprache des englischen sh ist stets gleich der des deutschen „sch“, diejenige des ch variiert, entweder „sch“ oder „tsch“ bei den modernen Wörtern, die aus dem Französischen, Englischen oder Spanischen herstammen.

Man könnte also als allgemeine Regel für ch die Aussprache „tsch“ nehmen und „sch“ gestatten, ähnlich wie beim c die offizielle Aussprache „ts“ ist, aber auch „ß“ zugelassen ist.

Nun kommt aber noch eine scheinbare Erschwerung hinzu. In gewissen, meist wissenschaftlichen, aus dem Griechischen (auch aus dem Hebräischen) stammenden Wörtern hat ch eine gutturale Aussprache, wie „k“ oder „ch“ im Deutschen, z. B. in Christus, Chlor, Psyche, chronisch, Chrysantheme, Jacht usw., also hauptsächlich vor Konsonanten und in Verbindung mit y, welches meist die griechische Herkunft anzeigt. Italienisch und Spanisch schreiben cristo, cloro usw., lassen also das h aus, aber in Wörtern wie psychic kann man das h nicht gut auslassen. Am häufigsten kommt diese Aussprache in der Silbe arch vor: architectur, archiepiscop, archeologie, monarchie. Im Französischen spricht man hier allerdings häufig sch; aber diese Aussprache anzuwenden, widerstrebt einem doch zu stark, und wie der Franzose monarque zu schreiben, ebenfalls. Falls man aber monarc schriebe, so sind wieder die Ableitungen monarcie, monarcist recht ungeheuerlich. An sich ist die Anzahl derartiger Wörter recht gering, betrifft meist wissenschaftliche Wörter, die also dem Gebildeten sowieso bekannt sind, während der Ungebildete sie kaum viel benützen wird, wenn er sie nicht schon zufällig aus seiner Muttersprache kennt. Im allgemeinen kann man es also in dieser nur wenige Wörter betreffenden Frage der Zukunft überlassen, ob die Schreibung k durchgeführt werden soll oder eine besondere Regel oder einige Ausnahmen zugelassen werden sollen.

Fürs erste können wir den Gebrauch der historischen Orthographie gestatten, und ihn in einer Regel zusammenfassen: ch wird als Kehllaut, also wie „k“ oder deutsches „ch“ gesprochen, wenn es vor Konsonanten oder in Verbindung mit y steht, sowie in der Silbe arch. Es soll aber nicht verboten sein, ein k oder c zu schreiben etwa monarc, cristo usw. Die Verständlichkeit wird in jedem Falle erreicht werden, und das ist ja bei einer internationalen Sprache die Hauptsache und nicht etwa eine Polizeiuntersuchung, ob jemand vielleicht einen orthographischen Schnitzer gemacht hat.

Ph, rh, th, die in wissenschaftlichen Wörtern vorkommen, und von den Gelehrten aller Länder benutzt werden, können natürlich nicht auf Befehl irgendeines Weltspracherfinders beseitigt werden. Es empfiehlt sich aber, sie in der Umgangssprache durch f, r, t, zu ersetzen. Verbieten soll und kann man sie nicht. Es ist eines der ersten Gebote der Pädagogik und der Regierung überhaupt, keinerlei Erlasse oder Verbote auszusprechen, wenn man nicht den Willen und die Macht hat, die Durchführung zu erzwingen, sonst schädigt man nur die eigenen Autorität.

Die Aussprache des qu variiert zwischen „k“ und „kw“. Am passendsten ist es, eine mittlere Aussprache zu wählen, indem nämlich das u ganz kurz und schwach gesprochen wird.

eu ist eine Kombination, die in verhältnismäßig wenigen, aber sehr bekannten Wörtern wie Europa, neutral, Pneumatik vorkommt. Wenn wir von der englischen Aussprache ju absehen, schwankt die Aussprache des eu zwischen oi, öi, äu, e-u, ew, ö. Wir wählen als mittlere ö, da sie von vielen aus dem Französischen stammenden Fremdwörtern her ziemlich bekannt ist, besonders in der Endung -eur, -euse, in Chaffeur usw.

Buchstabenverdoppelungen kommen in allen europäischen Sprachen vor (auch im Spanischen, das sie zum großen Teil ausmerzte), um die Kürze der Silbe zu bezeichnen. In den europäischen Sprachen sind eine Menge Stämme vorhanden, die sich durch einfache oder Doppelkonsonanz unterscheiden; daher haben wir auch im Okzidental z. B. cur – curr (Sorge – lauf-); car – carr (teuer – Karren); vel – vell (Schleier – würde); vale – valle (gelten – Wall); ros – ross (Rose – fuchsrot) usw. Ferner findet eine Unterscheidung kurzer und langer Vokale in allen europäischen Sprachen in kleinerem oder größerem Maße statt, so daß kein Grund vorhanden ist, in der internationalen Sprache diese bequeme Unterscheidungsmethode aus der Hand zu geben und Selbstverstümmelung zu üben.

Mouillierte Laute

Eine häufig beanstandete Gruppe im Okzidental bilden die mouillierten (d. h. erweichten) Laute n’ und l’, gesprochen wie „nj“ und „lj“, z. B. wie gn in Kognak, beziehungsweise wie ill in Canaille. Jespersen behauptet zwar, daß diese Laute schwer auszusprechen seien, sie kommen aber fast in allen europäischen Sprachen vor und sind schließlich nichts weiter als eine natürliche Folge des im Verlauf der Geschichte immer schneller werdenden Tempos der Sprache, wobei die zwei Silben i-e, i-a erst diphthongiert werden und schließlich nur als Erweichung des vorhergehenden Konsonanten nachbleiben. Nur die Schreibmethoden dieser Laute sind in den verschiedenen Sprachen sehr verschieden, und zwar für n’ und l’ ungleich. Das kommt daher, weil der Ursprung dieses mouillierten n zweifach ist. Da sind erstens die Wörter, die ursprünglich ein gn hatten wie signum, pugnus, in denen eine Umstellung der beiden Laute g (bezw. j-y) und n stattgefunden hat, also sinyo(m), punyo(m), die dann zu sin’e, pun’o wurden, aber im Französischen und Italienischen ihre alte Schreibung behielten, daher signe, pugno, geschrieben werden. Solche Umstellungen von Lauten und Silben sind der Sprachwissenschaft als ein sehr häufiger Prozeß bekannt.

Nun sind aber auch Wörter vorhanden, in denen keine Umstellung stattgefunden hat, sondern bloß eine Verkürzung wie z. B. linea = Linie, das im Französischen zu „lin“ verkürzt worden ist, aber ganz unetymologisch nach Analogie der übrigen Wörter ligne geschrieben wird. Italienisch bildet ähnlich aus lateinischem senior: signore und analog dazu filio: figlio. Das Spanische schreibt ll und n mit einer Tilde (Wellenlinie) als Überzeichen, das Provenzalischen und Portugiesische lh und nh: filha, senhor. Die slavischen Sprachen kennen alle diesen Laut, das Polnische schreibt n mit einem Akutzeichen. Die Schreibung n’, l’ des Okzidental ist am allerlogischesten und sofort verständlich, da der Apostroph den Ausfall eines Buchstaben oder Lautes anzeigt, hier den eines kurzen i. Wir sehen, daß alle Völker Wörter besitzen, die diese erweichten Laute enthalten, am wenigsten vielleicht der Engländer; aber auch er spricht cognac und billiard fast genau so aus wie ein Italiener.

Eine andere Frage ist es, ob die Einführung dieser Buchstaben (und Laute) nötig oder wenigstens vorteilhaft ist. Das wird man, wenn man in den Bau des Okzidental eingedrungen, durchaus bejahen müssen. Der Bau des Okzidental ist derzeit etymologisch durchsichtig und muß wenigstens solange derart bleiben, als Okzidental als Fremdsprache erlernt werden muß. Erst wenn alle Menschen es als zweite Landessprache von Kind auf erlernen, kann dieser etymologische Zusammenhang ohne größeren Verlust verschwinden: bis dahin wird man ihn ganz selbstverständlich auf jede Weise zu erhalten suchen.

Die Endungen -ie, -ia haben im Okzidental eine sehr grundlegende Bedeutung und große Verbreitung. Der Leser findet darüber Genaueres in der Wortbildungslehre im Kursus. Es gibt aber eine Menge Wörter, in denen dieses kurze i schon längst mit dem Stamm verwachsen ist und seine vielleicht einstmalige Suffixbedeutung vollständig eingebüßt hat. Dieses i gehört als kurze Erweichung des Endkonsonanten zum Stamm, oder es hat wie im Suffix -al’a eine ganz andere Bedeutung erhalten, als wenn es -al-ia geschrieben würde. Übrigens ist auch die Aussprache anders, indem der Vokal vor dem moullierten Konsonanten kürzer ist.

Außerdem gibt uns diese Schreibweise und Lautung die Möglichkeit, eine Reihe von unregelmäßigen Verben des Lateinischen in die allgemeine Regel des Okzidental einzufügen und regelmäßig zu gestalten, z. B. attin’er, extin’er, distin’er. Sie entsprechen vollkommen den provenzalischen atenher, destenher usw., sind also in höchstem Grade natürlich und modern entwickelt. Nun können wir davon völlig regelmäßig ableiten: extin’t, extin’tion, distin’tiv, distin’tion usw. Man könnte vielleicht behaupten, diese Wörter seien unnatürlich, weil sie in genau dieser Form doch in keiner Sprache existieren; aber Italienisch hat distinzione, das sich nur orthographisch unterscheidet. Und tinto von Latein tinctus, punto von punctum sind ähnliche Beispiele aus lebenden Sprachen.

Somit sind sowohl die mouillierten Laute als auch ihre Darstellung in Okzidental mit Hilfe eines Apostrophs erstens logisch, zweitens historisch, drittens phonetisch und viertens etymologisch gerechtfertigt.

Ein Einwand wird noch dagegen vorgebracht, daß nämlich der Apostroph sich im Druck und auf der Schreibmaschine unschön ausnehme. Das ist richtig, kann aber in Zukunft leicht geändert werden, sobald die Sprache verbreiteter ist, ebenso wie heute für ß und ch im deutschen Druck eine Type (Ligatur) gesetzt wird und nicht zwei: sz und ch, oder im Holländischen das ij usw.

Betonung

Es ist ein fast allgemeines Gesetz, daß betonte Silben sich länger erhalten, unbetonte dagegen im Gebrauch sich allmählich abschleifen. Fast nie wird der Akzent einer Regel zuliebe von einer betonten auf eine früher unbetonte Silbe geschoben. Das kommt nur bei gelehrten Fremdwörtern vor, so im Französischen häufig bei später eingeführten lateinischen Wörtern: frigíde neben froid usw. Die willkürliche Versetzung der natürlichen Betonung wie Esperanto, Ido und Novial das in ausgedehntem Maße tun, ist eine schwere Verletzung eines Gesetzes der Sprachentwicklung. Wörter wie die des Esperanto: regulo (Regel), animo (Seele), angulo (Winkel), internacia (international), komisio (Kommission), pario (Paria), fadeno (Faden), boao (Boa) usw. sind ganz unmöglich.

Wenn wir andererseits bedenken, daß die Wörter einer internationalen Sprache, wenn auch in der Hauptsache lateinischen Ursprungs, so doch beinahe zu einem Viertel aus anderen Quellen entstammen, dann ist es begreiflich, daß es keine allgemeine Betonungsregel geben kann, welche auf diese ganze gemischte Gesellschaft paßt. Man wird also auch hier nicht vorgefaßte Prinzipien durchführen und das Leben vergewaltigen wollen, sondern einen möglichst wenig beschwerlichen Ausweg suchen. Den glaube ich durch die im Kursus angeführte Regel gefunden zu haben. Allerdings gibt es noch eine ganze Anzahl Wörter, die sich nicht in die Regel einfügen lassen, also Ausnahmen sind. Hier nun folge ich der spanischen Sprache, welche in solchen Fällen die Betonung durch einen geschriebenen Akzent auf dem Buchstaben kennzeichnet. Allerdings haben manche Druckereien nicht genügend Buchstaben mit Akzenten; besonders ist i mit Akzent selten. Aber schließlich sind diese Akzente ja nur in Wörterbüchern und Lehrbüchern notwendig, wo man sie übrigens ja auch anderswie sichtbar machen kann, etwa durch Fettdruck oder Kursiv usw. Für diejenigen, welche die Sprache schon kennen, sind die Akzente ebenso überflüssig wie im Deutschen, Italienischen, Englischen, Russischen, Schwedischen usw. Sie können also im Druck, wo nicht vorhanden, ohne weiteres fortgelassen werden. Übrigens sind die häufigsten, à und é, wohl in allen Druckereien in genügender Anzahl zu finden. Die Form des Akzentes selbst ist im Okzidental freigestellt. Man kann à, â, á usw. schreiben und drucken, was auch eine Erleichterung bedeutet, wenngleich eine einheitliche Bezeichnung (etwa á, é, í, ó, ú wie im Spanischen) geboten erscheint.

Objektkasus der Pronomina

Esperanto hat in der Deklination noch eine besondere, obligatorische Akkusativendung. Da alle fortgeschrittenen europäischen Sprachen und so wie viele andere auch das Chinesische, den Akkusativ der Nomina abgeschafft haben, so ist es selbstverständlich, daß wir, diesem Vorbild folgend, im Okzidental die Deklination auf analytische Weise bloß durch Präpositionen wie im Englischen und in den romanischen Sprachen ausdrücken. Andererseits halte ich es für sehr bedenklich und dem europäischen Denken für nicht entsprechend, wenn man, wie Jespersen und einige andere Verfasser von Sprachentwürfen das machen, nun auch für die persönlichen Fürwörter den Akkusativ dem Nominativ gleichsetzt. Tatsache ist, daß alle europäischen Sprachen ohne Ausnahme eine besondere Form dafür behalten haben, ja manche da, wo im Latein kein Unterschied vorhanden war (nos = wir, uns; vos = ihr, euch), verschiedene Formen neu geschaffen haben, z. B. Spanisch (nosotros = wir, nos = uns; vosotros = ihr, os = euch), Italienisch (voi = ihr, vi = euch usw.).

Außerdem ist hierbei noch ein anderer psychologischer Prozeß vor sich gegangen, indem der Unterschied zwischen direktem und indirektem Objekt, also zwischen Akkusativ und Dativ sich mehr und mehr verwischte, und häufig vollständig verschwand, wie z. B. im Englischen, wo sogar ein Passivum mit dem indirekten Objekt gebildet werden kann: „Give me the book“ und „I have been given the book“. Im Deutschen tritt diese Psychologie in dem bekannten Verwechseln von mir und mich zutage. Dasselbe sehen wir in den slavischen Sprachen, wo der noch im Russischen vorhandene Unterschied mn’e und men’a im Südslavischen in einem gemeinsamen mene verschwindet.

Ich halte es für richtig, diesen Fingerzeig der Natur zu befolgen und den persönlichen Fürwörtern eine zweite Form für einen Objektkasus (Dativ-Akkusativ) beizufügen. Die Erlernung dieser paar Nebenformen ist eine Kleinigkeit im Verhältnis zur ungeheureren Bequemlichkeit und Kürze, die dadurch geboten wird. Das Leben steht höher als alle Prinzipien!


Die übrigen Fragen sind teilweise im Kursus, teilweise im Aufsatz „Wesen des Okzidental“ so ausführlich behandelt, daß ich dazu wenig hinzuzufügen brauche. Manche werden vielleicht diese oder jene einzelne Form von Wörtern kritisieren. Ich kann hier natürlich nicht das ganze Wörterbuch analysieren, bin aber überzeugt, alle Formen sprachwissenschaftlich belegen und verteidigen zu können. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, so wird eben eine kleine Änderung der Sache nicht schaden; das kommt in jeder Sprache vor. Vor dreißig Jahren sagte man im Deutschen „Japanese“, heute heißt es „Japaner“; „Abteil“ hieß früher „Coupé“ und „Fernsprecher“ „Telephon“. Ja noch einschneidendere Änderungen kommen vor. Zu Friedrichs des Großen Zeiten sagte man noch „Er“ und „Ihr“, heute sagt man „Sie“; damals sagte man „Meierin“, heute „Frau Meier“; ebenso hieß es damals „Demoiselle“ und nicht wie heute „Fräulein“. Und übermorgen werden vielleicht, wenn die Frauenrechtlerinnen Erfolg haben sollten, alle erwachsenen Damen mit „Frau“ oder „Madame“ angeredet werden. Eine Sprache ist nie im Stillstand, sie verändert sich unaufhörlich entsprechend den Bedürfnissen. Nur wenn sie das nicht kann, wie etwa Esperanto wegen seiner starren Regeln, dann ist sie in Gefahr. Gerade die Elastizität der Formen und Regeln des Okzidental ist die beste Gewähr für seine wahre Stabilität und Dauer, die Gewähr dafür, daß es die endgültige Sprache ist, die ihre Veränderung und Entwicklung nicht durch äußere Dekrete und Reformen zu erreichen sucht, sondern durch inneres natürliches Wachstum.

Okzidental ist die einzige natürliche, allen Sprachgesetzen folgende, anpassungsfähige, leichte, flüssige und ungeahnte Zukunftsmöglichkeiten bergende, neugeschaffene Sprache. Das beste Zeugnis für ihre Natürlichkeit und Lebendigkeit ist auch der Umstand, daß sie einige Jahre ohne Wörterbuch überall verstanden und sofort gebraucht wurde.